Hannah (Malibus Gentlemen 1) (German Edition) Read online
Page 28
»Blöde Frage, Morrison!«, antwortete ich. »Hannah. Das ist los!« Meine monotone Stimme erschreckte mich. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Selbst für aufbrausende, verzweifelte oder alleine schon traurige Gefühle hatte ich keinen Nerv mehr. Es war irgendwie, als wäre alles an verdammtem Leben aus mir heraus genommen worden, je näher es auf die Hochzeit zuging.
»Ich versteh nicht, wieso du sie nicht zurückholst! Du bist so ein verfluchtes Weichei«, rief Melissa und Scott stellte sie auf dem Boden ab, hielt sie aber weiterhin mit seinen Armen um den Bauch in einem festen Griff. »Ihr liebt euch. Du siehst genauso beschissen aus wie sie, und doch holst du sie dir nicht zurück, sondern ziehst diese abartige Scheiße hier echt durch, oder was?« Vor Zorn blitzten ihre Augen. Gut, offensichtlich weinte sie nicht vor Trauer, sondern weil sie sauer war.
Tief lauschte ich in mich hinein, aber da war weiterhin nichts. Nur Leere und das stetige Gefühl, das mich Hannah so schmerzlich vermissen ließ, dass ich mich gerne körperlich verstümmelt hätte, nur damit ich diesen Schmerz nicht mehr empfinden musste. War dieses Verlustgefühl tatsächlich momentan so normal und ein Teil von mir, dass ich mich eigentlich so fühlte, als würde ich nichts empfinden? War das wirklich normal?
»Das versteht keiner, Baby!«, sage Scott und drehte Melissa halb in seinen Armen, um ihr die wirren Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Sanft wischte er die Tränen von ihren Wangen. Diese intime Szene bohrte sich unwiderruflich in mein Herz, hatte ich doch bis vor Kurzem selbst so etwas Schönes miterleben dürfen.
»Wieso bringst du ihn nicht zur Vernunft, Scott?«, fragte sie ihn, und ihr flehender Tonfall schnitt in mein Herz. »Hannah ist kurz davor komplett aufzugeben!«
Endlich kam Leben in mich, wenn auch nur sehr wenig. Immerhin war ja eh eigentlich alles egal. »Wie geht es ihr?«, fragte ich leise das Falsche. Melissa funkelte mich wieder an, denn dass ich mich nach ihr erkundigte, schien Benzin auf ihr inneres Feuer zu sein.
»Blöde Frage, oder? Sie leidet. Noch viel mehr als du, weil sie so absolut machtlos ist.«
Meine Hannah litt? Natürlich tat sie das. Ich hatte ja längst gewusst, dass es ihr schlecht ging, war doch auch meine Verfassung komplett am Arsch. Aber war es bei ihr wirklich so heftig, dass sie kurz vor der totalen Resignation stand? An jenem Morgen in der Bucht hatte ich eine Verbindung zwischen uns fühlen können. Natürlich.
Aber nachdem sie sich dann von mir gelöst hatte, diese Worte von wegen es wäre alles organisiert, ich müsse mir keine Sorgen machen und ich solle einfach nur gehen, aussprach, hätte ich nicht gedacht, dass sie gefühlsmäßig genauso drin hing wie ich. Sie hatte es beenden wollen. Nicht ich.
Nicht, nachdem ich sie wiedergesehen hatte.
Es traf mich wie ein Schlag mitten ins Gesicht als alles, was Kelly hier tat, über mir zusammenbrach. Sie hatte nicht mit mir Schluss gemacht, weil sie mich nicht mehr wollte, sondern weil es das Einzige war, was sie ihr Gesicht nicht verlieren lassen würde. Ich stützte den Kopf in die Hände und schalt mich innerlich eine feige, verdammte Pussy. Gott, was war ich nur für ein erbärmlicher Mann? Nichts mehr übrig von dem heißen, sexy Surfer, der selbstbewusst durchs Leben lief und genau wusste, was Frauen wollen und brauchen. Übrig war ein verdammtes Weichei geblieben. Dennoch wusste ich, was ich wollen sollte. Was richtig war. Ich war nicht verrückt, ich wollte nur einfach keinen Wahnsinn mehr. Die Zeiten, als ich mir den Hals brach oder lebensmüde gewesen war, waren vorbei. Hannah und Adam war nicht richtig. In meinem Kopf drehte sich alles und mir wurde übel.
»Du bist derjenige, der diese Scheiße hier beenden kann, aber du tust es nicht. Du tust nichts, außer hier sitzen und diese endlose Kacke wirklich durchzuziehen!«, schrie sie. Dass sie richtig lag und nur meine Gedanken laut aussprach, ließ ich mir nicht anmerken. Zumindest glaubte ich das. Scotts zufriedener Gesichtsausdruck allerdings sprach Bände. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass sich die beiden so einig waren.
»Melissa!«, warnte Scott sie leise. Er wollte möglicherweise verhindern, dass sie zu weit ging und eine Grenze überschritt. Mir war bis dato nicht bewusst gewesen, dass mein bester Freund solch ein Gefühl für Anstand überhaupt besaß. Ohne dies negativ zu meinen.
»Nein, Scott, schon okay, lass sie. Ich hab es nicht anders verdient«, stammelte ich und fühlte mich, als würde ich neben mir stehen. Alles drehte sich immer schneller.
»Endlich hast du jemand, der dich wirklich liebt. Heiß, feurig, leidenschaftlich, mit jeder Scheißfaser des Körpers, aber nein, das, was du bevorzugst, aus beknackter Dankbarkeit, ist immer noch Kelly! Das wird sicher der Wahnsinn. Eine unterkühlte, herzlose Ehe. Herzlichen Glückwunsch, Adam, denn dir gehört der Arsch aufgerissen. Nichts anderes! Du mieser, verdammter Feigling!«, brüllte sie, aber immerhin ging sie nicht mehr auf mich los. Sie befreite sich aus Scotts Armen und setzte sich neben mich auf das Sofa. »Wie kannst du das tun? Wie kannst du es zulassen, gleich drei Menschen unglücklich zu machen?«
»Wieso drei? Ich liebe Kelly«, antwortete ich mechanisch, aber weiterhin ohne Emotion in der Stimme. Schwer schluckte ich, um den Geschmack der bitteren Galle zu vertreiben.
»Sorry, Bro, aber einen Scheißdreck tust du!«
»Danke, Scott«, zischte ich und mein Kopf ruckte in seine Richtung ... Sollte der beste Freund nicht hinter einem stehen?
»Wen willst du davon überzeugen, mh?«, fragte er weiter. »Du weißt, dass es ein Riesenfehler wäre, Kelly zu heiraten!« Ja, wusste ich, nur hatte ich keine Ahnung, wie ich aus der Nummer herauskommen sollte, ohne dabei irgendjemandem zu schaden. Es käme einem Selbstmord gleich, eine Beziehung mit Hannah einzugehen.
»Du kannst dich doch nicht ein Leben lang an jemanden binden, den du gar nicht willst!«
»Aber ich ...«, begann ich und ließ meinen Blick zwischen den beiden hin und her wandern. In meiner Kehle bildete sich ein Kloß wie bei einem verdammten Mädchen. Wie eine tosende Welle rauschte die bittere Realität über mich hinweg, und als sie sich am Strand in der Brandung brach, platzte es aus mir heraus.
»Ich liebe Hannah. Gott, sie fehlt mir. Jeden Scheißtag. Ich kann an nichts anderes denken als an sie. Was sie tut, wie sie aussieht, wie sie spricht. Ich vermisse sie so sehr, dass es mich schmerzt und ich automatisch versuche mich nicht zu bewegen, damit sich der Schmerz nicht noch weiter ausbreitet, weil ich keine verdammte Ahnung habe, wie ich den Rest meines Lebens ohne sie sein soll. Aber ich kann das Kelly nicht antun! Ich habe ihr ein Versprechen gegeben.«
»War das bevor oder nachdem du Hannah gevögelt und begonnen hast, etwas für sie zu empfinden?«, fragte Scott und nahm einen tiefen Schluck Bier. Er ließ sich in den Sessel fallen und rollte die Augen. »Du bist so eine beschissene Pussy, Alter, warst du schon immer so ein verdammtes Weichei, das vor einer Muschi einknickt, oder was?«
»Und Hannah liebt dich. Abgöttisch. Diese Idiotin«, fügte Melissa bedeutend ruhiger an. Klar, war ja jetzt auch leichter, wo sie wusste, dass Scott auf ihrer Seite war.
»Ja, Mann. Verdient hast du sie nicht! Auf gar keinen verdammten Fall«, setzte Scott noch nach.
»Ich flehe dich an, Adam. Bitte beende das mit Kelly, heirate sie nicht. Nicht einmal um Hannahs willen oder weil ich finde, dass ihr perfekt zusammenpasst, sondern um deinetwillen. Du liebst sie nicht.«
In den wenigen Momenten, in welchen ich mir eingestand und das Gefühl zuließ, dass ich Kelly nicht liebte, war mir immer bewusst gewesen, dass Hannah die Frau war, mit der ich mein Leben verbringen und alt werden wollte. Die Frau, welche die Mutter meiner Kinder sein sollte. Mein Herz klopfte aufgeregt, bei dem Gedanken daran, dass es wieder einmal, wie so oft die letzten Wochen zum Greifen nah war, mit Hannah zusammen zu sein. Ich musste nur Eier beweisen. Und doch würde ich, wie schon die ganze Zeit über, kurz vorher wieder den Kopf in den Sand stecken und den Schwanz einziehen.
»Adam, ich bin dein bester Freund und ich rate dir, sag die Hochzeit ab!« Scotts Stimme drang an mein Ohr, und ich hob erstaunt den Kopf. Er war schon immer sehr ehrlich und sehr deutlich gewesen, aber noch niemals auf diese eindringliche Art. Noch nie hatte er ausgesprochen, dass ich
Kelly nicht heiraten sollte.
»Du hältst es für einen Fehler?«, fragte ich ihn, um mich zu vergewissern. Vielleicht hatten Hannah und ich doch eine Chance.
»Jeder hält es für einen Fehler. Alle. Und ich vermute sogar Kelly selbst.«
Melissa griff nach meiner Hand und es durchfuhr mich. Nicht weil sie mich anmachte, sondern weil es mir zeigte, dass ich selbst für die Schwester meiner großen Liebe mehr empfand als für die Frau, zu der ich morgen Ja sagen würde.
»Fehlt dir Hannah?«, fragte Scott mich das Offensichtliche.
»Jeden verdammten Tag!«, lautete meine ehrliche Antwort darauf. Und das tat sie. Ständig. Mit jedem Atemzug.
»Dann hör auf so eine Pussy zu sein und hole dir verdammt noch mal dein Mädchen zurück!«, sagte Scott energisch und stand auf. »Beenden wir diese Scheiße, ehe uns der Arsch auf Grundeis geht!«
Innerhalb von zehn Sekunden kam Leben in mich. War es wirklich nötig gewesen, dass eine Melissa Stone mir sagen musste, was zu tun war? Und dass ein Scott Morrison es bestätigte? Wie in Trance stand ich auf. Ich drehte mich einmal im Kreis, fühlte mich schwindelig von all dem verbalen Hagel, der auf mich einprasselte und unterdrückte mühsam ein Würgen.
Raus!
Ich musste hier raus.
Die Rufe von Scott und Melissa ignorierend stürmte ich durch die Haustüre ins Freie. Die frische Luft strömte in meine Lungen und ließ mich dennoch nicht frei atmen. Die Kette wollte einfach nicht mehr zerspringen, nein. Sie zog sich immer fester um mich zusammen.
Ich stieg auf das Motorrad meines besten Freundes, denn ich musste hier weg. Dringend. Sofort. Schnell!
Das Röhren des Motors und der Fahrtwind trugen mich fort. Immer weiter und weiter. Bis ich schließlich in der verdammten Bucht der Half Moon Bay stand. Dem Ort, an dem alles begonnen hatte ... und an dem alles hatte enden sollen.
Kapitel 30
Adam
Langsam ließ ich meinen Blick über die sanften Wellen streichen. Ich liebte das Wasser. Ich liebte den Geruch. Ich liebte das Surfen und ich liebte wie sich die Wellen um mich legten und mich zwangen, eins mit ihnen zu werden.
Ich war nicht mehr sauer auf Kelly, weil sie Hannah so in den Himmel lobte oder so begeistert von ihr war. Ich war nicht böse, weil ihr Geist ständig wie ein Damoklesschwert über uns schwebte. Meine Wut über Melissa und Scott war durch die Fahrt und den Wind mit dem Motorrad verraucht. Ich zerbrach einfach.
Tausend Dinge waren mir durch den Kopf gegangen, als ich die Küstenstraßen entlanggefahren war, vor allem aber, dass ich dieses Risiko, welches Hannah darstellte, bezwingen musste. Sobald ich auf einmal in der Half Moon Bay stand. Ich musste surfen. Dieses Zerbrechen war der Grund, weshalb ich mir bei Joeys Surferbude Boardshorts kaufte und mir ein Brett lieh. Man kannte mich hier, weshalb ich auch bekam, was ich wollte, nachdem ich festgestellt hatte, dass ich keinen Cent Geld in der Tasche dabei hatte. Nun stand ich am Strand und blinzelte gegen das grelle Licht an, das die aufgehende Sonne verursachte.
Es war für mich ein wenig so:
Wenn ich es schaffte, wieder auf ein Board zu steigen, wenn auch nur bei solchen Babywellen wie sie am offenen Teil, dem nicht mehr mit Felsen und Klippen gesäumten Strandabschnitt aufkamen, und bei diesem lauen Lüftchen wie heute, dann könnte ich mir wieder sicher sein, was ich wollte. Es musste sein. Mir blieb keine Wahl außer zu surfen. Es zu versuchen. Daran zu glauben. Jahrelang war ich überzeugt gewesen, das Wellenreiten sei für mich ein abgeschlossenes Kapitel, nur um jetzt auf diese Seiten zurückzukehren. Ich wollte mir beweisen, dass alle Welt, dass Hannah falsch gelegen hatte. Ich war immer noch derselbe, auch ohne Surfbrett und diesem perversen Verlangen nach dem Wahnsinn und dem Gefühl lebensmüde zu sein.
Die weiche Substanz rieselte durch meine Zehen, als ich langsam durch den Sand in Richtung Wasser watete. Es war einen Versuch wert. Den ersten seit drei Jahren. Wenn ich mir vor Augen führte, wie gut diese kleinen, gleichmäßigen Wellen zu mir passten, fühlte es sich fast perfekt an. Eine wohlige Ruhe legte sich über mich und ich ging so lange weiter, bis ich kniehoch im Wasser stand und sich langsam meine Shorts damit vollsogen. In unendlicher Zärtlichkeit legte ich mein weißes Brett, welches zufällig das Logo meiner Firma trug, auf den Wellen ab. Sanft plätscherten sie dagegen, und hätte ich nicht am eigenen Leib erfahren, dass es gefährlich werden könnte, hätte ich geglaubt, alle Welt müsse verrückt sein, so etwas zu behaupten. Konnte etwas, das so perfekt harmonierte, wie das Board auf dem Wasser, so zerstörend sein? Wirklich?
Szenen des Unfalls und die wenigen Bruchstücke, an welche ich mich noch erinnern konnte, zogen an meinem inneren Auge vorbei und zwangen mich, tief durchzuatmen. Es würde nichts passieren. Gar nichts. Außer, dass mich das Gefühl unendlicher Freiheit durchströmen würde.
»Lass nicht zu, dass die Angst dich kontrolliert, kontrolliere du sie!«, flüsterte ich das Mantra, welches Scott immer wieder nutzte, wenn seine Dämonen über ihn hereinbrachen. Ehe ich mich umentscheiden konnte, schwang ich mich auf mein Brett und paddelte hinaus. Diese lange nicht mehr ausgeführten und doch so vertrauten Bewegungen, zauberten mir ein Lächeln auf das Gesicht. Das erste echte seit gefühlten Ewigkeiten. Obwohl mein Entschluss, nicht zu heiraten, erst Stunden zurücklag.
Geduldig, wie es nun einmal nötig war, wenn man auf lauen Lüftchen und Babywellen surfen wollte, wartete ich, bis eine Welle ankam. Es vergingen einige Minuten, und gerade als ich mir sicher war, heute leer auszugehen, und dass Poseidon vorzog, mich zu verarschen, sah ich von weiter draußen die genau passende Welle auf mich zurollen. Keine dicke Kiste, aber immerhin eine kleine Möglichkeit. Als es endlich soweit war, schwang ich mich auf mein Board und surfte los. Ich hatte nicht die Zeit, mich darüber zu wundern, wie anstrengend es war, überhaupt auf dem Board das Gleichgewicht zu halten, denn schon war ich in meinem Element. Ich genoss den sagenhaften kurzen Ritt, fühlte das vertraute Gefühl der Liebe von mir Besitz ergreifen und genoss das Adrenalin, das durch meine Adern pulsierte. Bis zum letzten Moment, kurz bevor sich die Welle am Strand brach, genoss ich den Ausläufer und sprang erst kurz vorher kopfüber ins Wasser ab. Als ich wieder auftauchte und meinen Kopf schüttelte, damit mir das Wasser aus den Haaren nicht in die Augen lief, lachte ich lauthals und befreiend los. Es war die erste Welle seit drei Jahren gewesen und es war perfekt.
Nach einer Stunde, in welcher ich noch weitere Kisten reiten konnte, raute der Wind auf. Ich überlegte kurz, das Wasser zu verlassen, mich ganz in dem Gefühl zu sonnen, es erst mal geschafft zu haben, wieder auf ein verdammtes Board zu steigen, als mir klar wurde, dass ich noch nicht aufhören wollte. Ich wollte größere Wellen. Ich wollte Adrenalin, den Kick. Den Rausch nach mehr.
Die nächste Welle, die auf mich zukam, war etwas größer, aber nach meiner Einschätzung machbar. Immerhin war ich, wenn auch Ex, Surfweltmeister. Früher hatte ich ganz andere Wellen geritten und bezwungen. Als das Wasser genau im richtigen Winkel war, schwang ich mich auf mein Board und begann zu surfen. Erst war auch alles in bester Ordnung, aber der Wind zog noch einmal gewaltig an und eine andere Welle, die sich ihren Weg in Richtung Land bahnte, war kräftiger und mächtiger und trieb meine Miniwelle an. Die Position auf meinem Board festigend versuchte ich, weiterhin standhaft zu bleiben. Als die beiden Wellen aufeinandertrafen und sich brachen, zitterte mein Bein so stark, dass ich mich kaum mehr auf dem weißen Board halten konnte. Adrenalin jagte durch meinen Körper und mein Puls beschleunigte sich rasant. Bruchstücke des Unfalls zogen vor meinem inneren Auge vorbei und verbissen verdrängte ich sie. Diese zwei Sekunden, die ich dafür brauchte, hämmerten den letzten Nagel in meinen Sarg. Automatisch ging ich etwas mehr in die Knie, verlagerte mein Gewicht und nutzte meine Arme, um die Balance wieder zu finden. Weitere drei Sekunden später war die Welle hindurch, und zurück blieb eine weiterhin unruhige Babywelle. Als ich mir sicher war, dass ich gerade an einer Stelle auf dem Wasser war, wo keine Steine aus dem Boden ragten, sprang ich von meinem Board und tauchte im Wasser wieder auf. Mit klopfendem Herzen und einem Puls, der sich vermutlich nicht mehr messen ließ, stützte ich mich mit meinen Unterar
men auf dem Board ab. Was zur Hölle war das gewesen, wenn nicht eine kleine Panikattacke? Als ich der Welle hinterher sah, die sich gerade in einer Riesengischt am Strand brach, bemerkte ich wieder einmal, dass, egal wie sicher man war, egal, wie gut man die Dinge berechnete und plante, es eben nicht immer glatt lief. Es war perfekt zu wissen, dass nicht alles vorhersehbar war, da sich nicht alles kontrollieren ließ. Mein Blick wanderte den Strand entlang zu der Bucht, in welcher ich fast ums Leben gekommen wäre. Lieber eine Sekunde absolute Glückseligkeit, als ein Leben lang Babywellen.
So waren Naturgewalten.
So war die Liebe.
So war ich.
Binnen eines Wimpernschlages wurde mir klar, dass sie mich einholen und über mich hereinbrechen würde wie ein Orkan. So heftig und so gewaltig, wie eine verdammte Welle auf diesem verdammten Ozean.
Eine innere Stimme flüsterte mir zu, dass genau das immer alles gewesen war, was ich wollte. Keine Babywellen, ich wollte den tosenden Ozean, wollte lieber absaufen, anstatt immer auf der Oberfläche zu treiben. Da der Wind allgemein stärker wurde, war es in der eingegrenzten Bucht noch stürmischer. Die Wellen begannen sich an den hohen Felsen zu brechen, wurden regelrecht gespalten. Mit meinem Surfboard unter den Arm joggte ich locker noch ein wenig weiter in die Verengung des Landes. Zu dem Teil des Strandes, der wirklich die Half Moon Bay war. Dorthin, wo die größten und berühmtesten Surfer der Welt ihre Wettkämpfe austrugen. Ungefähr dorthin, wo ich meinen Unfall gehabt hatte.
Wie versteinert stand ich wenig später am Strand, betrachtete das klare, blaue Wasser, die hoch aufragenden Felsen und dass dieses Material stärker und mächtiger als das Meer war. Diese absolute Schönheit der Naturgewalt hielt mich gefangen und fesselte mich, als mich die Wahrheit durchfuhr.
Ich wollte Hannah, so wie ich diese Wellen bezwingen wollte. Babywellen waren nichts für mich. Babywellen waren ganz nett, aber befriedigten mich nicht. Es war so ähnlich, als würde man stets alkoholfreies Bier trinken. Es schmeckte, es war in Ordnung, aber es stellte niemals vollends zufrieden.